Teil 3.

„Die Aktion”
– das pazifistiche Blatt aus Berlin

„Die Aktion“, das Berliner Expressionistenblatt, wirbt 1918 für die Ausstellung der Bilder von Jerzy Hulewicz

 

In einem anderen Brief beklagte sich Przybyszewski bei Witold darüber, daß dessen Bruder Jerzy die Zeitschrift „Zdrój“ auf einen „übertriebenen Kurs“ steuern würde. Jerzy hätte sich von der „Zdrój“ – Jugend becircen lassen: Die Jugendlichen hätten den deutschen Expressionismus für sich entdeckt, und schockierten damit ganz Posen. Mehrere Maler und bildende Künstler hätten die Gruppe „Bunt“ (polnisch für Revolte) gegründet. Przybyszewski sah schon die Pleite der „Zdrój“ am Horizont: Seine Taktik, das nüchterne Posener Publikum nicht vor den Kopf zu stoßen, sondern geduldig zu erziehen, wurde aufgegeben.

 

Die Posener „Bunt“ – Künstler hatten Zugang zu den expressionistischen Organen Berlins: Der „Aktion“ und dem „Sturm“. Przybyszewski beklagte sich bei Witold darüber, daß die „Bunt“ – Künstler den deutschen Expressionismus, wie einen Fremdkörper, in die polnische Kultur importierten, und daß sich er in dieser Form nicht lange halten würde.

 

Auch an der Front gab es „Die Aktion“. So konnte auch Witold sie lesen. Die expressionistische Grafik interessierte ihn weniger. Ihn faszinierte die Rubrik Gedichte vom Schlacht-Feld.

 

Einer der ersten Texte, die er dort gelesen hatte, stammte von dem Feldarzt Wilhelm Klemm und lautete:

Dem einen riß es den Kopf herunter,

Dort baumelt eine Hand,

hier heult einer ohne Fuß.

Einem Hauptmann schmetterte es gerade in die Brust,

Und der Regen, der Regen rinnt unaufhörlich.

 

Witold war nicht so allein, wie er dachte. Die gleiche Entdeckung machten auch andere Soldaten der deutschen Armee. Einer, Erwin Piscator, faßte sie in Worte: „Als ich den Titel «Die Aktion» vor mir sah, als ein Gedicht neben dem anderen mein Leid, meine Angst, mein Leben und meinen voraussichtlichen Tod beschrieb und verdichtete, […] da wurde mir bewußt, daß kein gottgewolltes Schicksal waltete, daß kein unabänderbares Fatum uns in diesen Dreck führte, sondern daß nur Verbrechen an der Menschlichkeit und dem Menschen dazu geführt hatten. Diese Erkenntnis verdanke ich Pfemfert und seiner «Aktion»!“.

 

Franz Pfemfert, Redakteur und Herausgeber der „Aktion“, war Pazifist und Revolutionär in einem. Er hatte keine Sponsoren: Seine Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst trug sich selbst, beziehungsweise durch den Buchladen und das Fotolabor, die Pfemfert und seine Frau in Berlin betrieben.

 

Mitten im Krieg veröffentlichte Pfemfert Gedichte von Frontsoldaten. Diese Gedichte waren alles andere, als ein Aufruf zum militärischen Kampf. Einziges Kriterium, das Pfemfert bei der Auswahl der Texte hatte, war die Antikriegshaltung ihrer Autoren.


Witold begann, deutsche Front-Gedichte aus der „Aktion“ ins Polnische zu übersetzen. Ihm war, als würde er damit seine eigene Biographie schreiben. Er schickte die Übersetzungen nach Hause, für „Zdrój“:


Hermann Plagge, Nacht im Granatfeuer

[…]

Am Morgen trete ich in die zerwühlte Kerbe des Grabens.

Der Frühreif friert auf verlassenen Gewehrkolben.

Ganz fremd zerschmilzt am Boden eine Leiche in Blut.

Eine Meise zirpt mutig auf der Brustwehr

Ich schwanke wie nach durchzechter Nacht – und ein irres Bonmot flüsternd hebe ich eine abgerissene Hand hoch wie einen erbeuteten Ballhandschuh ins Morgenrot.

Bald veröffentlichte Olwid in „Zdrój“ eigene lyrische Impressionen vom Schlachtfeld:

 

Das Geflüster (Szepty)


Er mochte die Nächte.

Lilienfarbene, vom Atmen zwölf armer Brustkörbe vibrierende Nächte.

Jeder nächste Tag brachte schlimmere Qualen.

Die brennende Wunde im Bauch war ihm eher Unterhaltung und willkommene Abwechslung.

Denn, als das Pochen des galoppierenden Blutes sich in der Wunde beruhigte, begannen die bis dahin starren Gehirnwindungen sich zu regen und wurden zu schrecklichen Reptilien.

Der abscheuchlichste Lurch zischte leise:

Mör – der […]

Der Gedanke Nr. 1: Eine kreischende Stimme, preußischblaue Augen, glänzende Epauletten.

Der Gedanke Nr. 2: Ein Auge, das Visier des Gewehrs, ein

Kopf und ein Brustkorb über dem Graben.

Der Gedanke Nr. 3: Der Finger weicht zurück – zittert – der Finger schreit: Nein! Denn so jung und so dumm ist der Kopf über dem Graben.

Der Gedanke Nr. 4: Das Gewehr spuckt und schlägt gegen die Wange des Mörders.

Der dumme Kopf über dem Graben ist weg.

Mör – der…

 

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