Teil 5.

Herr Rilke,
ich kenne Sie doch schon lange...

Der junge Witold Hulewicz bekam von Rainer Maria Rilke ein Foto mit folgender Widmung: Witold Hulewicz (in dankbarer Zustimmung nach dem ersten Anhören seiner Übertragungen) Rainer Maria Rilke, 26. Octobre 1924.

 

Witold war nicht der erste Pole, der an Rainer Maria Rilke schrieb, weil er dessen Werke übersetzen wollte. Rilke wußte nicht, welchem der Kandidaten er die Erlaubnis erteilen sollte. Er kannte niemanden, der die zugeschickten Manuskripte begutachten könnte. Zwei der ihm vorgelegten Cornet-Übertragungen hatte er abgelehnt. Nachdem er das Manuskript der Rodin-Übersetzung von Witold Hulewicz erhalten hatte, antwortete er ihm am 14. Dezember 1922 in einem Brief: „Meine – wenn auch nicht mehr sehr frischen ­– Kenntnisse des Russischen, mußten sogar herhalten, mir die Zeilen Ihrer Einführung bis zu einem gewissen Grade zu eröffnen. Und so ist mein Dank nicht völlig vage, wenn ich Ihnen versichere, daß es mich freut und ehrt, daß Sie jenen Zyklus von Biographien mit meiner Arbeit haben einleiten wollen“.

 

In dem besagten Zyklus wollte Witold die Lebensläufe „gewaltiger Utopisten“ einschließen: Rilke, Michelangelo, Beethoven, Leo Tolstoj, Juliusz Słowacki, Adam Mickiewicz.

 

Rilke gefielen die Ansichten des jungen Übersetzers bezüglich der Rodin-Monographie. Er schrieb an Witold: „Was aber – in meinen Augen – jenen meinigen Aufzeichnungen auch jetzt noch eine Art Berechtigung sichert, ist, wie Sie richtig erkannt haben – ihre menschliche Hingerissenheit zu dem großen Beispiel, ihre Überzeugung, daß Kunst hervorzubringen, ein schlichtester und härtester Beruf, aber zugleich ein Schicksal sei, und, als solches, größer als jeder von uns, gewaltiger und bis zuletzt unermeßbar. – Und daß Sie dieser Überzeugung in Ihrer Heimat Leser und Freunde gewinnen wollten, das danke ich Ihnen auf das Herzlichste“.

 

Rilke freute sich schon auf die Übersetzungspläne von Hulewicz: „Daß Sie auch von den Aufzeichnungen des Malte L.Brigge sprachen, war mir besonders erfreuend“, schrieb er ihm. Im Postskriptum seines Briefes verwies er Hulewicz auf Paul Valéry. Es wäre „ein wichtiger Versuch“, Valéry auch den Landsleuten von Hulewicz zugänglich zu machen. „Unternehmen Sie‘s“, schrieb er.

 

Witold nahm sich Rilkes Postskriptum zu Herzen, wollte sich aber erst später darum kümmern. 1923 brachte er seine Übersetzung des Rodin auf den Markt. Das Buch erschien in seinem Verlag „Hulewicz & Paszkowski“. Ein Teil der Exemplare wurde an Buchhandlungen in Krakau, Posen und Wilna geschickt.   

   

„Rilke. In Westeuropa hat sein Name schon lange einen mit würdiger Aura umgebenen Klang. Uns Polen sagt er nicht viel […]. Rilkes Gestalt entzieht sich Vergleichen, paßt nicht zu Richtungen oder Schulen, sie steht allein […], wie jede Größe“, schrieb Witold Hulewicz in der Warschauer Wochenzeitschrift „Wiadomości Literackie“ [Literarische Nachrichten] am 2. März 1924.

 

Witold begann, Abende zu organisieren, auf denen bekannte Schauspieler Gedichte von Rilke vortrugen. Witold spielte dabei Klavier, meistens die Musik von Beethoven. Sicher träumte er davon, daß Rilke eines Tages an solch einem Abend auftritt. In einem Brief fragte er ihn: „Spielen Sie ein Instrument? Welches und wie?“. Rilke antwortete ihm: „Nein. Nie“.

Für den Frühling 1924 plante Witold eine Veranstaltung unter dem Titel Rilke Dichter der Liebe, der Not und des Todes. Er wollte zusammen mit der schönen und beliebten Schauspielerin Irena Solska eine Tournee nach Wilna, Lodz und Posen unternehmen.

 

„Wiadomości Literackie“ kündigte „Rilkes Abend“ in Warschau an: „13. April 1924. Nach ihrer Rückkehr von einer langen Tournee, tritt Irena Solska am kommenden Samstag in der Warschauer Philharmonie auf. Anlaß ist ein ungewöhnlicher Abend. Der Protagonist des Mysteriums ist der geniale europäische Dichter Rainer Maria Rilke […]. Über ihn spricht der junge Dichter Olwid (Witold Hulewicz), ein hervorragender Kenner der zeitgenössischen Literatur und Übersetzer aus dem Deutschen. Heutzutage, da die große Poesie so selten eine Stimme bekommt, nennen wir dieses Ereignis eine Sensation!“.

 

 

Rainer Maria Rilke

 

Witold berichtete Rilke von „seinen“ Abenden. Rilke lobte die „Intentionen und deren reine und starke Durchsetzung“. Über das Repertoire eines „seiner“ Abende, schrieb er an Hulewicz:

 

15. Februar 1924

„Ich finde die Auswahl, die Sie getroffen haben, ungemein entsprechend –, und, was den Geist Ihres Abends angeht, so hat Ihr eigenes Bewußtsein, sowie die würdige Teilnehmung im Kreise Ihrer Zuhörer, Sie so vollkommen belohnt, daß ich, obendrein aus so großer Entfernung und noch dazu verspätet, nichts hinzuzufügen wüßte […], es sei denn meine Freude; meine eigene, ganz und gar dankbare Freude“.

 

Während eines der Abende hatte Witold versucht, Rilke dem polnischen Publikum anzunähern. Er verglich ihn mit einigen polnischen Romantikern. Rilke äußerte sich dazu folgendermaßen: „Daß Sie Verwandtschaften und Beziehungen meiner Bücher zu älteren und jetzigen Werken der reichen und innerlich bewegten polnischen Literatur nachweisen konnten, mag den Anschluß an Ihr Auditorium eigentümlich gefördert haben; meinem eigenen Gefühl entspricht es ja […], zu vermuten, daß die slawische Strömung nicht die geringste sein möchte in den Vielfältigkeiten meines Blutes […]. Was Sie – zu meinem Ruhme – in Bezug auf Julisz Słowacki aussprechen, daß ich mir anmaßen dürfte, irgendwie von ihm herzustammen, das hat mich […] oft beschäftigt: die Vermutung, daß man in anderen Sprachen und Zeiten die eigentliche und wesentliche Herkunft in erschütternder Weise aufzudecken vermöchte, wenn plötzlich alle die Hindernisse fortfielen, die das Bewußtsein der Nationen trennen“.

 

Als Ausdruck seiner Dankbarkeit für die sorgfältigen Übersetzungen seiner Werke ins Polnische, schickte Rilke ein Exemplar der Duineser Elegien an Witold, mit folgender Widmung:

 

Dem getreuen und tätigen Vermittler:

Witold Hulewicz (Olwid)

in Dankbarkeit

Rainer Maria Rilke

 

Glücklich, die wissen, daß hinter allen

Sprachen das Unsägliche steht;

daß, von dort her, ins Wohlgefallen

Größe zu uns übergeht!

 

Unabhängig von diesen Brücken

die wir mit Verschiedenem baun:

so daß wir immer, aus jedem Entzücken

in ein heiter gemeinsames schaun.

                         Muzot, im Februar 1924

         

 

„Nach Jeziorna fuhr man mit einem Bummelzug“, erinnerte sich die Tochter von Anna und Witold an die Zeit, als sie am Rande des Vororts von Warschau wohnten. „Die Reise nach Jeziorna dauerte eine Stunde. Also ging meinem Vater durch die Fahrten viel Zeit verloren. Seine Ehefrau, die mit dem kleinen Kind zu Hause blieb, fühlte sich einsam […]. Sie war eine schöne, junge Frau, gewöhnt an Amüsements und die Verehrung durch Männer. Auf einmal wurde ihr Leben grau. Sie sehnte sich nach Warschau […]. Schließlich gelang es Witold, eine Dreizimmerwohnung mit Bad in der Innenstadt von Warschau zu mieten – zu spät! Es waren schon die letzten Augenblicke des Zusammenlebens von Anna und Witold. Die Spannung wuchs wie ein Geschwür am Herzen und platzte irgendwann. Verzweifelt reiste Witold nach Paris. Anna blieb mit dem kleinen Kind in der Warschauer Wohnung“.

 

 

Laut Familienerzählungen, fuhr Witold nach Paris, „um sein Studium der Musikwissenschaften zu ergänzen“. Dabei hatte er doch Philosophie studiert. Allerdings spielte er viel Klavier.

 

Während in Warschau familiäre und berufliche Probleme drängten, schien er in Paris nach neuer Inspiration zu suchen. Er folgte der Stimme seiner großen Leidenschaft: Rilke. Wie ihm dieser einst zugeraten hatte, interviewte Witold in Paris Paul Valéry.

 

Es gibt eine Fotografie aus dieser Zeit: „Polnische Künstler in Paris, auf der Terrasse des Cafés La Rotonde“. Es ist ein sonniger, warmer Tag. Alle Plätze an den drei kleinen Bistrotischen sind besetzt. Ein Teil der Gäste unterhält sich stehend. Witold, mit Anzug und Fliege, ist in ein Gespräch vertieft. Nicht weit von ihm sitzt der polnisch-jüdische Maler Roman Kramsztyk. Er zeichnete in diesen Tagen ein Porträt von Witold – das beste, das er je bekommen hat.

 

Von Paris aus bewarb sich Witold um eine Stelle… in Wilna. Am 12. Oktober 1924 schickte er „zu Händen von Professor Jerzy Remer“ folgende Bewerbung: „Hiermit bitte ich um die Stelle des Sekretärs in der Abteilung für Kultur und Kunst beim Amt des Regierungsdelegierten in Wilna“. Er fügte sein Studienbuch, seinen Lebenslauf und eine Übersicht über seine literarische Laufbahn hinzu. In seinem Lebenslauf schrieb er:

 

„Nach dem Abitur und einem mehr als siebenjährigen Militärdienst, den ich mit dem Rang eines Hauptmanns der Reserve abgeschlossen hatte, studierte ich an der Posener Universität. Aus finanziellen Gründen mußte ich das Studium, kurz vor der Promotion, abbrechen […]. Seit vier Jahren arbeite ich an einem Buch über das Werk und die Psyche von Beethoven. Ich übersetze das gesamte Werk von Rainer Maria Rilke ins Polnische. Über Rilke hielt ich in der letzten Zeit Vorträge in fünf polnischen Städten […].

Ich beherrsche die deutsche Sprache fließend; des Französischen bin ich, ohne Perfektion in der Umgangssprache, mächtig.

Ich habe Belgien besichtigt, Nordfrankreich, Paris, Deutschland, die Schweiz und Wien.

Ich bin verheiratet und habe ein Kind“.

Titelseite der polnischen Ausgabe von Rilkes Stundenbuch. Einbandgestaltung: Tymon Niesiołowski (Wilna 1935).

 

Bald nachdem er seine Bewerbung nach Wilna abgeschickt hatte, trat Witold seine Reise zu Rilke an. Der Dichter der Liebe, der Not und des Todes wohnte zu dieser Zeit in klösterlicher Abgeschiedenheit im schweizerischen Château de Muzot. Hulewicz fuhr mit der Bahn dorthin.

 

Es war Oktober. „Einen schöneren Herbst kann es nicht geben“, schrieb Witold später. Die Weinberge entlang der Bahngleise sahen aus wie „goldblondes feuchtes Haar, gekämmt mit einem Kamm“. Aus dem rechten Abteilfenster sah Witold den Genfer See mit Segelbooten und Möwen, aus dem linken Fenster sah er die Berge. Nach einiger Zeit erreichte der Zug den Bahnhof von Sierre, und hielt an.

 

„Unter den Schweizer Gebirglern und den wenigen restlichen Sommerfrischlern befand sich ein schwächlicher Herr von mittlerer Größe, der nach allen Seiten Ausschau hielt“, schrieb Hulewicz später. „Das war er: Der Lyriker der Gegenwart, der Gott am nächsten stand […]. Es war seltsam und geheimnisvoll, einen Menschen […] aus seinen Werken zu kennen, mit ihm seit drei Jahren im […] Briefwechsel zu stehen, seine Dichtung und Prosa zu übersetzen, und ihm dann plötzlich an einem Oktobertag gegenüberzustehen“.

 

Witold begrüßte Rilke mit den Worten: „Ich kenne Sie doch schon lange“. Im Château de Muzot floß die Zeit langsam, war dehnbar wie im Malte-Roman. Rilke erzählte, daß er vorhatte, bald nach Paris zu reisen. Für drei Tage, vielleicht drei Wochen, oder drei Monate – er wußte es nicht… „Vier Monate vor Ihrem Besuch war Paul Valéry hier“, sagte er. „Das war mein letzter Gast. Jetzt hat sich niemand angesagt, sodaß ich nach meiner Rückkehr aus Paris wieder allein sein werde, völlig allein, ein Vierteljahr lang, ein halbes Jahr, oder auch ein ganzes Jahr lang“.

 

Rilkes Welt war eine ganz andere, als die, in der Witold lebte. Aber sie faszinierte ihn. „Ich wollte einen Hund haben“, erzählte Rilke, „denn ich liebe Hunde leidenschaftlich. Doch es zeigte sich, daß es für mich unmöglich ist. Der Hund absorbiert mich dermaßen auf jedem Spaziergang, ich bin mit ihm dauernd derartig verbunden, daß ich mich und meine Ruhe verschwende. Ich kann nicht. Ich brauche absolute Einsamkeit“.

 

 

Rilke bat Hulewicz, seine polnischen Übersetzungen der Gedichte vorzutragen. Hulewicz erinnerte sich später: „Er trank den Klang der fremden Sprache, und assoziierte die vagen Verwandtschaften mit dem Russischen, das er kannte“. Als Hulewicz seine Übersetzung der Mondnacht aus dem Buch der Bilder vortrug, sprang Rilke auf: „Das klingt ja bedeutend schöner als auf deutsch! Das fließt so weich… Ja, das ist ein Vers, wie ich ihn in mir nicht mehr habe; ich höre ihm zu, als wenn ihn mein Großvater geschrieben hätte“, sagte Rilke.

 

„Diese Gespräche mit Rilke“, schrieb Hulewicz, „spielten sich beim Tee und auf der Terrasse ab, in seinem Arbeitszimmer, auf Spaziergängen oder auf schmalem Pfad am steilen Hang. Um uns herum ereigneten sich indessen Mysterien. Die Kühe kehrten mit ihrem Schellengeläut von der Weide zurück. Von den Kirchen, die auf Hängen zerstreut lagen, klangen, getragen durch die Stille, die Abendglocken […]. In dichtem, dunklem Nebel kehrten wir zurück“.

 

Hulewicz beschrieb den weiteren Verlauf seines Gespräches mit Rilke so: „Es gefällt Ihnen hier also und Sie haben nie Heimweh nach Ihrem Vaterland?“.

 

„Nach welchem Vaterland? Ich habe nie ein Vaterland gehabt“.

 

„Na ja“, überlegte ich, „Es gab einige deutsche Dichter, die, nachdem sie ihr Land verlassen hatten, nicht mehr dorthin zurückgekehrt sind“.

 

Rilke erhob verwundert die Augen: „Ich bin kein Deutscher“.

 

„Nun ja, ein Österreicher“, verbesserte ich mich.

 

„O nein! Als im Jahre 1866 die Österreicher [sic!] in Prag einmarschierten, verhängten meine Eltern mit Abscheu die Fenster, um sie nicht sehen zu müssen“ [Es waren Preußen, die 1866 in Prag einmarschierten. Es ist nicht bekannt, ob hier Hulewicz ein Fehler unterlaufen war, oder der Redaktion, die seinen Text druckte].

 

Rilke erklärte weiter: „Alles hat sich so gefügt, daß ich kein Vaterland bekommen habe. Ich wuchs auf in der alten, aber leider schon abgestorbenen Kultur der Tschechen, die in schauerlicher Weise die deutsche Sprache verunstalteten. Was die Deutschen anbelangt, so steht niemand ihrem Wesen fremder gegenüber als ich! Wenn ich dazu fähig wäre, einen Menschen umzubringen, wäre mein erstes Opfer dieser Verbrecher Guillaume Deux!“ [Wilhelm II].

 

„Das war ein schrecklicher Mensch. Er hat das Unglück herbeigeführt. Und was für einen Unsinn hat er geschwätzt. Ich schrieb und sagte es den Menschen aus seiner Umgebung: Wie könnt ihr es zulassen, daß er solche Dinge ausspricht! – Daß er solche Dinge tut!“.

 

Auf die Frage, ob er nirgendwo einen Boden gefunden hätte, der ihm „nahe“ und „lieb“ wäre, erzählte Rilke von Rußland und dem dort erlebten „undeutlichen Gefühl – einer Art Heimgefühl“.

 

Nach zwei Tagen endete Witolds Besuch in Château de Muzot. Rilke begleitete seinen Gast zum Bahnhof. Hulewicz verabschiedete sich von ihm mit den Worten: „Ich habe oft im Leben, in der Schule und während des Krieges, die deutsche Sprache und den Geist dieses Volkes verflucht. Sie haben mich für dieses Unrecht reich und überreich entschädigt“.

 

Rilke rief, während der Zug schon anfuhr, daß er nach Polen kommen würde, um Wilna, Krakau, die bunten Kirchfenster und die Menschen zu sehen. Einen Tag später, am 27.Oktober 1924, schrieb er an Nanny Wunderly-Volkart über Witold Hulewicz: „Er hat schon, Sie erinnern, den Rodin polnisch ediert, bringt jetzt die Geschichten vom lieben Gott und dann, wovon schon viel übersetzt vorliegt, eine Art Anthologie (Auswahl) von 50 Gedichten; darauf das ganze Stundenbuch und den Malte. Alles in ansprechenden Ausgaben. Ich werde in Polen glänzend vertreten sein“.

 

Seine Eindrücke von der Begegnung mit Rilke, beschrieb Witold in einem Text, der eine Verbindung aus Reportage und Interview war. Am 16. November 1924 erschien dieser Text in „Wiadomości Literackie“ unter dem Titel Zwei Tage beim Autor des „Buches der Bilder“. Ein Gespräch mit Rainer Maria Rilke (Dwa dni u Autora „Księgi obrazów“. Rozmowa z Rainerem Marją Rilke).

 

Vier Fotografien illustrierten den Artikel: Ein Bild zeigte das Porträt von Rilke, versehen mit der Widmung: „Witold Hulewicz (in dankbarer Zustimmung nach dem ersten Anhören seiner Übertragungen)“.

 

Der Bericht von Hulewicz war lang, er füllte eine ganze Seite der Zeitung. Ausschnitte des Artikels wurden am 30. November 1924 in der deutschsprachigen „Prager Presse“ abgedruckt. Der Teil des Interviews, der Rilkes nationale Identität betraf, wurde dort verkürzt wiedergegeben: „«Also fühlen Sie sich hier wohl und haben Sie nie Sehnsucht nach der Heimat?». «Nach welcher? Ich habe nie eine Heimat gehabt. Nie». Rilke ist, wie er sagt, kein Deutscher und auch kein Österreicher, alles war in seinem Leben danach angetan, ihm keine Heimat zu geben“ (Es folgte Rilkes Erzählung von Rußland).

 

Nachdem Rilke in der „Prager Presse“ diese Zusammenfassung des Interviews gelesen hatte, ließ er sich sogleich Hulewicz ganzen Bericht aus „Wiadomości Literackie“ übersetzen. Wahrscheinlich bekam er weiche Knie. Aus der Reportage ging hervor, daß Rilke sich von allen Völkern, die innerhalb der ehemaligen Habsburger Monarchie und des Deutschen Reiches lebten, distanzieren würde. Und gerade jetzt bereitete Rilkes deutscher Verleger eine sechsbändige Gesamtausgabe seiner Werke vor.

 

Rilke versuchte das Klima um seine Person zu retten. Nachdem Witold nach Warschau zurückkehrt war, erfuhr er, daß seine Ehefrau bereits einen neuen Ehemann hatte. Anna Karpińska und Antoni Migdalski hatten sich nach dem evangelisch-Habsburger Ritus trauen lassen, während Witold vier Monate lang im Ausland weilte.

 

Witold geriet in Wut, und wollte wenigstens das Kind bei sich behalten. Damit war aber die Mutter des Kindes nicht einverstanden.

 

Während Anna und Witold – gegeneinander – um die Erziehungsrechte zu ihrem Kind kämpften, kam die Antwort auf die, von Paris aus abgeschickte Bewerbung: Witold konnte die Stelle beim Amt des Regierungsdelegierten in Wilna antreten! Er packte seine Koffer und fuhr ab.

 

Unterwegs beschloß er, von Wilna aus, das Recht zur Erziehung seiner Tochter, zu erstreiten.

 

Die Firma „Hulewicz & Paszkowski“ wurde aufgelöst. In Warschau erzählte man sich: „Als sie die Firma gründeten, brachte Paszkowski die Erfahrung mit, und Hulewicz das Geld. Als sie ihre Firma auflösten, hatte Paszkowski das Geld, und Hulewicz die Erfahrung“.

© Agnieszka Karaś

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