„Polen lebt!“

„Das Jahr 1939 war für die Mitarbeiter des Polnischen Hörfunks schwierig“, schrieb Tadeusz Byrski, der nach Hulewicz ebenfalls Wilna verlassen hatte, und eine Einstellung beim Warschauer Hörfunk fand. „Wir arbeiteten unter dem Eindruck des heraufziehenden Krieges. Gleichzeitig hofften wir, daß uns dieser Wahnsinn erspart bleiben würde […].
Die literarische Abteilung war jetzt nicht komplett, da Hulewicz zur Politikredaktion versetzt worden war – man brauchte ihn für Polemik in deutscher Sprache“.
In seinen, an die deutsche Bevölkerung gerichteten Reden, erinnerte Hulewicz an die Traditionen des deutschen Humanismus, und entblößte Hitlers wahre Absichten gegenüber Polen. Seine Reden waren eine Antwort auf die polnischsprachigen Propaganda-Sendungen der Radiosender Breslau und Gleiwitz. Ein „Radiokrieg“ begann.
„Den ganzen August über besuchte ich einen Schnellkurs des Roten Kreuzes für Sanitäterinnen“, schrieb die Tochter von Hulewicz in ihrem Buch. „Durchgenommen wurden «Maßnahmen im Falle eines Gasangriffs» und «Der Transport von Verwundeten».
«Morgen besprechen wir die einzelnen Fälle von Verwundungen und die Arten der provisorischen Verbände», sagte der Ausbilder und verließ den Saal. Es war der letzte Augusttag. Der nächste Kurstag fand nicht mehr statt.
Für alle Fälle besorgte ich mir im Magazin einen weißen Kittel, eine weiße Haube und den Erste-Hilfe-Koffer. Es war ein warmer, sonniger Tag. Ich ging zu Fuß nach Hause, genoß das schöne Wetter, und stellte mir vor, wie so ein Krieg sein würde. Ich war siebzehn Jahre alt, leichtsinnig und neugierig.
Zu Hause war niemand. Ich habe den weißen Kittel angezogen, die weiße Haube ins Haar gesteckt, und die Armbinde mit dem Abzeichen des Roten Kreuzes angelegt. Ich schaute in den Spiegel: Die Farbe weiß stand mir gut…
So hat mich der Papa erwischt, er war eilig von der Arbeit zurückgekehrt. Sein Gesicht war ernst und traurig.
«Der Krieg ist ausgebrochen. Die Deutschen haben heute morgen Polens Grenze überschritten».
Wie zur Bestätigung seiner Worte heulten die Alarmsirenen auf. Einen Augenblick später hörten wir fernes, anschwellendes Gebrumm von Flugzeugen, dann eine Explosion.
Die erste, die zweite, schon viel näher an uns…
«Zum Keller!».
Der Vater schob mich vor sich her, hinter sich zog er seine Frau Stenia an der Hand […]. Noch bevor wir den Schutzraum erreichten, erzitterte das Haus von zwei gewaltigen Explosionen. Die Fensterscheiben zersprangen. Auf der Straße hörte man einen Schrei… Getrampel… Jemand rief…
Innerhalb eines Augenblickes war ich innerlich gereift: Ich mußte helfen gehen […]. Die Straße war leer, nur an der Haltestelle stand ein leerer Bus, daneben ein zerschlagener Militär-Transporter. Am Eingang zum Mokotowski-Fort drängelten Menschen. Schon bemerkten sie mich: «Schwester! Schnell!»“.
„Als Polen überfallen wurde, war das Volk innenpolitisch geteilt, aber in der Außenpolitik einig. Jeder wollte die Heimat verteidigen“, schrieb Ludwik Hirszfeld, ein berühmter Serologe und Immunologe, während der Nazi-Besatzung Arzt im Warschauer Ghetto. „Man wußte, daß der Kampf ungleich war, aber hoffte darauf, einige Monate durchhalten zu können. Danach, dachte man, würden schon die Alliierten zur Hilfe kommen […].
Der Hörfunk war nur am Kriegsanfang tätig. Die dort ausgestrahlten Reden von Warschaus Präsident Starzyński hatten Würde und Feuer, sie entsprachen den Bedürfnissen der Zeit […]. Einen traurigen Eindruck machten dagegen die Gesänge, mit denen der Hörfunk nicht geizte. Wir brauchten etwas heldenhaftes, anstatt Liedchen über den Soldaten und seine Säbel. Einmal empfing ich zufällig den Sender des Feindes: Sie spielten ein Stück aus Wagners Walküre – ein heldenhaftes Lied. Ein Lied des Heldentums wäre auch für uns passender gewesen […]“.
„Während die Reporter von den zerbombten Orten berichteten, wurde das Radioprogramm durch geheimnisvolle Chiffren unterbrochen: «Achtung – Kom – ma – 5 – es kommt – Schokolade, Schokolade…».
Gleichzeitig hörte ich meinen Vater auf deutsch zu den Deutschen sprechen.
Warschaus Stadtpräsident, Stefan Starzyński, saß jetzt im Rathaus am Plac Teatralny. Oft hörte man im Radio seine heisere Stimme. Er machte uns Mut, rief dazu auf, Ruhe und Ordnung zu bewahren“, schrieb die Tochter von Hulewicz.
„Ob die deutschsprachigen Reden von Witold Hulewicz aufgezeichnet wurden?“ – „Ich glaube nicht“, erzählt Anna Wolfowa, „und deren schriftliche Vorlagen gab es gar nicht. Denn so weit ich mich erinnere, sprach er sie frei […]. Ich erkläre es mir damit, daß selbst die Platten für die Aufnahmen der Reden von Starzyński, mit großer Mühe aufgetrieben wurden – sie wurden, wie ein Schatz gehütet, sie wurden versteckt. Ingenieur Pilecki, der die Aufnahmen gemacht hatte, bezahlte dafür mit einem Aufenthalt in Auschwitz“.
„Am 4. oder am 5. September bekamen alle Hörfunkmitarbeiter ein Zweimonatsgehalt“, schrieb Tadeusz Byrski. „Die Polnische Nationalbank zahlte sogar Neunmonatsgehälter aus. Man ahnte die bevorstehende Evakuierung. Wir sendeten improvisierten Stoff, den Bedürfnissen des Augenblicks entsprechend […]. Am Nachmittag bekam ich die Nachricht, daß der Polnische Hörfunk zunächst in Richtung Osten, nach Lublin, evakuiert würde.
Wie durch ein Wunder hatte ich in der Stadt Hulewicz getroffen. Ich fragte ihn, ob er mich und meine Familie zum Sammelpunkt am Dąbrowski-Platz bringen könnte. Er redete auf mich ein: Das hätte keinen Sinn. Ich sollte allein dorthin fahren, meine Familie würde dort am sichersten sein, wo sie jetzt wohnte. Hulewicz würde mich später mit seinem Fiat abholen kommen“.
„Am 5. September kam ich im Haus von Stefa Zamoyska vorbei, um mich zu waschen und die Wäsche zu wechseln und… der Papi war dort! Er suchte mich, denn er und seine Frau waren bereits einer Evakuierungskolonne des Polnischen Hörfunks zugeteilt worden“, schrieb Agnieszka Hulewicz-Feillowa. „Mein Vater wollte, daß ich mitkomme. Ich sagte «nein», ich war doch eingeteilt, ich wurde in Warschau gebraucht.
«Ich verstehe dich. Du hast Recht», sagte mein Vater. «Aber es kann sein, daß wir uns lange Zeit nicht sehen werden».
Er machte ein Kreuzchen auf meiner Stirn und lief schnell die Treppe hinunter […].
Am 6. September verließ die oberste militärische Führung Warschau. Anschließend wurde die Verwaltung evakuiert – Richtung: Osten, Brest am Bug. Wir Warschauer blieben allein mit unserem Präsidenten […]“.
Am 7. September fuhr die nächste Gruppe von Hörfunkmitarbeitern in Richtung Lublin, darunter Witold Hulewicz und die Dichter Czesław Miłosz und Józef Czechowicz.
„In diesen Tagen wich die Linie der Verteidigung Warschaus im Südwesten zurück“, schrieb die Tochter von Hulewicz.
„Die 5.Kompanie des 41. Infanterieregiments verschanzte sich entlang der Wawelska-Straße […]. Ich meldete mich zum Sanitätsdienst in den Schanzen. Mein Vorgesetzter, Oberleutnant Roszko, schaute mich argwöhnisch an: «Der Frontdienst ist keine Spielerei mit Kittel und Haube. Das ist Dreck und Gestank. Gehen Sie lieber zur Mami».
Wenig später verletzte ein Artilleriesplitter einen Oberleutnant, der das Maschinengewehr bediente, an der Hand. Er wollte nicht ins Krankenhaus – wollte die Stellung nicht verlassen – und kam zur Behandlung zu mir […].
Was sollte ich tun? Ich desinfizierte mir die Hände und holte die Instrumente aus dem Sterilisator. Mit zitternden Fingern begann ich, in seiner Wunde herumzustochern. Der Oberleutnant verlor die Geduld:
«Mut! Ich bin ein Kerl!».
Ich riß mich zusammen, unterdrückte mein Mitleid und versuchte, die Behandlung korrekt durchzuführen. Ich gab dem Oberleutnant eine Tetanus – Spritze. Mit einer Pinzette riß ich ein Stück Metall aus seiner Wunde. Mit einer weiteren, kleineren Pinzette, entfernte ich daraus Roststückchen und Erdkrümel. Der Offizier zuckte nicht einmal mit den Wimpern. Ich begoß seine Hand mit reichlich Jodtinktur: Eine große Wunde mit zerfetzten Rändern kam zum Vorschein. Mir fielen die Worte meiner Großmutter Helena ein: «Eine Rißwunde heilt schlecht, man muß die Ränder ausgleichen».
Mit einer Schere schnitt ich die Hautfetzen ab, spannte die Haut einigermaßen gleichmäßig, und heftete sie mit Klämmerchen zusammen. Nach einer zweiten Desinfektion wickelte ich schließlich einen Verband darum.
«Das nenne ich eine Arbeit!», freute sich der Oberleutnant. «Herzlichen Dank!».
Er trank einen Schluck aus seiner Feldflasche, und setzte sich gleich wieder in seine Stellung, das Fernglas auf die Schrebergärten gerichtet.
Abends wurde ich zum Kompaniechef gerufen.
«Ich habe meine Meinung geändert», sagte Oberleutnant Roszko. «Ich nehme Ihren Vorschlag an. Sie werden Feldsanitäterin. Legen Sie dieses Weiß ab. Sie bekommen eine Uniform […]».
Ich bekam auch einen Helm mit der Anweisung: «Den Riemen unterm Kinn schließen» – was ich nie tat. Außerdem empfing ich einen Schlüssel vom Arzneimagazin und zwei Handgranaten, die ich mir gleich hinter den Gürtel klemmte“.
„In der Erinnerung der Polen blieben aus dieser Zeit zwei Bilder. Das eine Bild war schmerzhaft: Die fliehenden Offiziere und Beamten, der Exodus der Massen, welche kritiklos dem Befehl des Propagandachefs der Polnischen Armee gefolgt waren – solch ein Chaos, daß man bereits am zweiten Tag der Belagerung, per Hörfunk zur Rückgabe der Verbandsmittel aufrufen mußte. Das zweite Bild: Das heldenhafte Warschau, seine heldenhaften Verteidiger“, schrieb Ludwik Hirszfeld.
Nach dem Aufruf des Stadtpräsidenten Starzyński, Warschau zu verteidigen, kehrten manche Flüchtlinge in die Hauptstadt zurück. Auch Tadeusz Byrski nahm seine Arbeit beim Warschauer Sender wieder auf: „In diesen Tagen lernte ich den Stadtpräsidenten Starzyński kennen“, schrieb Byrski. „Er besuchte die Radiostation täglich. Ich kann mich an seine Silhouette erinnern: Er trug die Felduniform eines Majors und einen Militärumhang […].
Wir Zivilisten waren guter Dinge – vielleicht auch durch die Haltung unseres Stadtpräsidenten – die Möglichkeit der Kapitulation ging uns nicht in den Kopf“.
„Am Sonntag, den 10. September erlebte Warschau die nächsten siebzehn Bombardements. Tausende Bomben wurden abgeworfen“, schrieb die Tochter von Hulewicz. „Alles brannte: Das Königsschloß, die Kathedrale, die Kirche des Heiligen Kreuzes, die Wohnhäuser. Die Luft war so voller Glut und Rauch, daß man es selbst in unserer Gegend kaum aushalten konnte. Das Krankenhaus in der Nowogrodzka-Straße wurde zerbombt, viele Verwundete und ein Teil des Personals kamen dabei ums Leben. Es gab keinen Ort mehr, wo ich Verwundete hätte hinbringen können“.
Am 15. September erreichten die Evakuierten, unter ihnen Witold Hulewicz die polnisch-rumänische Grenze. Der Dichter Józef Czechowicz war bei einem Bombardement nahe Lublin ums Leben gekommen. Die katholische Aktivistin und Schriftstellerin Zofia Kossak-Szczucka, der polnisch-schlesische Schriftsteller Gustaw Morcinek und Witold Hulewicz machten an der Grenze kehrt.
„Am 24. September wurde im Warschauer Hörfunkstudio eine Sonntagsmesse zelebriert. Viele Fensterscheiben fehlten, man hörte die Artillerie schießen. Vor dieser Klangkulisse ging es auf Sendung“, schrieb Tadeusz Byrski. „Alle Diplomaten hatten Warschau verlassen, die Versorgung wurde immer schlechter, es gab keinen Strom, kein Wasser und keine Telefonverbindung mehr“.
„Am 29.September wurde es plötzlich ganz still. Wir begrüßten das zunächst mit Erleichterung“, schrieb die Tochter von Witold Hulewicz. „Ich hängte gewaschene Bandagen in der Sonne auf, und brachte den Erste-Hilfe-Koffer in Ordnung. Ich spürte einen saugenden Hunger, aber mittlerweile war das eine Alltagsempfindung. Bloß die Füße! Die Füße taten so weh. Die Socken waren längst durchgerieben, und das feste Leder der Schuhe war an der nackten Haut kaum zu ertragen. Ein Traum: Die Füße in kühles, klares Wasser zu tunken.
Vor Langeweile spähte ich in die Richtung der Schrebergärten und… blieb wie eingemauert vor Schreck: Ich sah unsere Vorgesetzten und einige von unseren Offizieren und neben ihnen – die Deutschen. […] Die Soldaten begannen, ihre Waffen zu vernichten, manche vergruben sie in der Erde. Man zog sich Klamotten über, die Zivilisten uns brachten […].
Oberleutnant Roszko teilte mit: «Bedingungslose Kapitulation auf Befehl der obersten Militärleitung»“.
„Kapitulation? […]. Wir bekamen die Anweisung, die Bänder aus dem Magazin wegzuschaffen, beziehungsweise alles wegzutragen, was den Wert eines Dokumentes haben könnte […].
Hulewicz und seine zweite Frau Stenia kehrten von der Grenze zurück, auch viele andere. Und bereits Ende September, Anfang Oktober planten wir unsere Zusammenkünfte für die nächste Zeit. Wir wußten, daß der Krieg gewonnen werden würde. Ich wiederhole: Nicht, wir glaubten – wir wußten, daß wir nicht verlieren würden. Uns stand die Besatzung bevor“, schrieb Tadeusz Byrski.
„Nach der Kapitulation ging ich in die Stadt. Warschau sah gespenstisch aus: Reste der verlassenen Barrikaden am Ausgang fast jeder Straße, brennende Häuser. Die Fenster der vernichteten Häuser waren wie die Augenhöhlen der Leichen“, schrieb Ludwik Hirszfeld in seinen Erinnerungen.
Nach der Kapitulation kehrte die Tochter von Hulewicz in das Haus, das vorher von ihrem Vater und seiner Frau bewohnt worden war, zurück: „Die Villa stand unzerstört. Die Tür war offen: Alles war geplündert. Kleider und Bettwäsche waren weggeschafft worden, Bücher und Papiere lagen verstreut auf dem Boden.
Fiebrig suchte ich nach einem Buchmanuskript über Chopin. Es war eine ähnliche Monographie, wie die über Beethoven, mein Vater hatte sie fast fertig geschrieben […].
Um das Haus herum herrschte eine seltsame Stille, aber von Zeit zu Zeit hörte ich so etwas wie Schritte. Waren das Banditen? Diebe? Vielleicht Deutsche? Mein Herz raste, endlich fand ich eine dicke Mappe mit der Aufschrift Chopin. Ich steckte sie in meine Tasche, griff nach zwei kostbaren Blumenwasen, schloß provisorisch die Tür, und lief davon. Am nächsten Tag kam ich wieder, diesmal mit einem Pferdewagen. Ich lud alles, was von Papas Vermögen übrig geblieben war, auf den Wagen. Das war alles, was mein Vater und Stenia nach ihrer Rückkehr in Warschau hatten. Die Mappe Chopin enthielt Notizen zu Radiosendungen über Chopin. Sie war nicht die gesuchte Monographie, leider. Diese war verschollen.
Wenig später klopfte jemand an meine Tür. Ich öffnete: «Papa!».
Er stand vor mir, ganz und gesund. Neben ihm Stenia.
Lange dauerte die Erzählung über den Weg «dorthin», über seine Verzweiflung, daß er die Stadt verlassen hatte, daß inmitten von Bomben und Trümmern sein einziges Kind geblieben war […].
«Ich fragte mich», erzählte er, «was ich dort, an der rumänischen Grenze zu tun hatte? Ich beschloß, umzukehren. Das, was man mich aus dem Hörfunk wegtransportieren ließ, hinterließ ich einem Kollegen. Ohne mich zu verabschieden, kehrte ich um. Wir drängten uns durch die Einheiten der Deutschen, schoben uns am Rande der Frontkämpfe entlang, Kugeln löcherten unser Auto, aber – Gott gnädig! – wir kamen an, und erst in Warschau wurde unser Wagen beschlagnahmt […].
Mein Vater und Stenia richteten sich in einer Wohnung an der Ecke der Aleja Niepodległości und Koszykowa-Straße ein, in den ehemaligen Offiziershäusern, die jetzt von SS-Offizieren besetzt wurden. Es gab dort noch einige Wohnungen für polnische Familien – unter anderem eine leerstehende Wohnung von der Cousine meines Vaters, deren Mann Offizier bei der Polnischen Armee gewesen war. Dort zogen, nach Einverständnis einer Schwester der Mieter, mein Vater und Stenia ein.
«Willst du mit uns wohnen? », fragte mein Vater.
Als ich sagte, daß ich lieber weiterhin in der Korzeniowski-Straße wohnen wollte, bestand er nicht weiter darauf, was mir sogar seltsam vorkam“, schrieb Hulewicz Tochter.
Der Grund für diese „Gleichgültigkeit“ war eine Begegnung im September 1939. Als Hulewicz über Lublin nach Warschau zurückkehrte, nahm er Kontakt zu der Untergrundorganisation Komenda Obrońców Polski (Kommandantur der Verteidiger Polens) auf. Das war eine der ersten Untergrundsorganisationen dieses Krieges. Ihr Begründer war Major Bolesław Studziński, Offizier des soeben aufgelösten Grenzschutzkorps. Er verfügte über die Gelder der aufgelösten Institution und über deren Stempel. Den Namen der frischgegründeten Untergrundorganisation paßte man also dem, auf den Stempeln vorhandenen Kürzel KOP an: Aus Korpus Ochrony Pogranicza wurde Komenda Obrońców Polski.
Von Mitgliedern der KOP, erfuhr Hulewicz, daß die erste Nummer einer Untergrundzeitschrift in Vorbereitung war.
Hulewicz bot seine Zusammenarbeit an, und wurde zum Chefredakteur der Zeitung. Nun war es also in seinem Sinne, daß für den Fall einer Entdeckung, die Tochter Agnieszka in einer anderen, als er Wohnung gemeldet wäre.

„Am 1. Oktober marschierten die Deutschen in Warschau ein. Sehr feierlich, mit Orchester. An der Spitze ritten die Kompanieführer. Die Bewohner Warschaus schauten schweigend auf ihre zu zwölf Prozent zerstörte Stadt“, erinnerte sich der Schriftsteller Lesław Bartelski, damals ein junger Journalist. „Gleich danach erschien die Gestapo in der Stadt […]. Zunächst waren das nur spezielle Einheiten, die wahrscheinlich über Listen gesuchter Personen verfügten. Auf einer dieser Listen mußte auch Hulewicz notiert sein […]. In der Aleja Szucha wurde die Sicherheitszentrale des Besatzers eingerichtet […]. Nach den Bombardements hatte Warschau kein Wasser und keinen Strom mehr. Die Fuhrwerke der Bauern ersetzten Busse und Straßenbahnen. Erst am 18. Oktober fuhren wieder Straßenbahnen im besetzten Warschau. Das waren die Umstände, unter denen Hulewicz die besagte Zeitung zu redigieren begann“.
„Polska Żyje“ [„Polen lebt“] erschien am 10. Oktober 1939, und war das erste Blatt des polnischen Untergrunds. An der Spitze der Redaktion stand „Grzegorz“. Das war der Deckname von Witold Hulewicz, leichtsinnigerweise sein zweiter Vornahme. Einen Tag später erschien „Nowy Kurier Warszawski“ [„Neuer Warschauer Kurier“], das polnischsprachige Organ des deutschen Besatzers, umgangsprachlich „Lappen“ genannt.
„Polska Żyje“ wurde im Kellerraum unter einer Schlosserwerkstatt, in der Warschauer Konopczyński-Straße, gedruckt. Die Werkstatt gehörte Antoni Długosz, einem Mitglied der KOP. Den Eingang zur Druckerei verdeckte ein Schrank mit Schlosserwerkzeugen.
Die erste Nummer von „Polska Żyje“ erschien in der Auflage von 6 000 Exemplaren. Die nächsten Nummern – erscheinend in einem Fünf-Tage-Rhythmus – hatten steigende Auflagen. Laut Aussage des KOP-Kommandanten Henryk Borucki, betrug die Auflage im Juli 1940 30 000-40 000 Exemplare.

Die Zeitung wurde im gesamten Gebiet des besetzten Polen und im Ausland verbreitet. Sie gelangte auch in die Hände der internierten Offiziere und Soldaten der Polnischen Armee. Auch Witolds älterer Bruder Bohdan, der im Stalag VI G in Bonn interniert war, konnte „Polska Żyje“ heimlich lesen. KOP hielt den Kontakt zwischen dem besetzten Polen und dessen Exilregierung in Frankreich (später in London). Sie organisierte Fluchtaktionen von Soldaten und Offizieren aus den Internierungslagern zu der sich in Frankreich bildenden Polnischen Armee. Sie hatte ihre Leute in Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien und Rumänien.
„Als ich «Polska Żyje!» zum ersten Mal gesehen hatte“, erinnerte sich Lesław Bartelski, „war ich ergriffen. Ergriffen darüber, daß sich etwas tat. Es war wie eine Inspiration. Denn bis dahin gab es noch kein Konzept für den kulturellen Untergrund. Die Polnische Gesellschaft wartete auf die Großoffensive Frankreichs und Englands. Man wartete darauf, daß die Alliierten kommen und die Deutschen besiegen, und daß alles sein würde, wie früher“.
In der ersten Nummer kündigte die Redaktion von „Polska Żyje“ ihr gesellschaftliches und politisches Programm an: „Trotz schwerer Arbeitsbedingungen, unter ständigem Todesrisiko, wird dieses Bulletin herausgegeben und verbreitet, damit:
– die Landsleute wahre Informationen über die politische Lage und über die Kriegshandlungen an den Fronten erhalten; damit schädlichen Gerüchten entgegengewirkt wird, und damit die Lügen der feindlichen Propaganda entblößt werden;
– damit der Geist im Volk aufrechterhalten wird, damit Bedrückung und Verbitterung bekämpft werden;
– damit der Haß gegen den Feind und der Wille zu einer blutigen Rache für das angerichtete Unrecht geweckt werden;
– damit die Gesellschaft darüber unterrichtet wird, wie sie sich dem Feind gegenüber verhalten soll und wie sie sich vor dem Raub, der uns alle erwartet, schützen soll;
– damit diejenigen Personen gebrandmarkt werden, die ein freundschaftliches Verhältnis zum Feind unterhalten und anderen Landsleuten schaden“.
„Irzykowski traf sich in diesen Tagen mit Witold Hulewicz und Witold Bunikiewicz“, schrieb Lesław Bartelski über den Anfang der Besatzungszeit. „Sie gingen ins Café ›Swann‹ […]. Irzykowski bestellte Reis mit Konfitüre, und klagte darüber, daß es nicht schmeckte. Er berichtete, was er gehört hatte: In Warschau sollte eine polnische Regierung unter deutschem Protektorat entstehen. ›Hulewicz war dagegen, Bunikiewicz und ich waren dafür‹, erzählte Irzykowski später. ›Aber wir haben Hulewicz überzeugen können: Man sollte jede Gelegenheit nutzen, um die eigene Autonomie zu erweitern, jede mögliche Stelle besetzen – und zwar schlau – ohne diesen verdammten Groll und stets in Verbindung mit der Exilregierung in Paris‹“.
Ludwik Hirszfeld schrieb in seinen Erinnerungen: „Am 17. Oktober 1939 kam das Dresdner Philharmonieorchester zu einem Konzert nach Warschau. Die Zeitungen berichteten von jenem höheren Geist, der selbst im Kampffeuer die Bedürfnisse der Seele nicht vernachlässigte. An demselben Tag fand die erste Straßenrazzia statt. Die erschütterte Bevölkerung sah, daß man Menschen wie wilde Tiere fangen und Wehrlose umbringen kann. Später kamen Eltern festgenommener Kinder zu mir. Sie baten mich, Gesuche um Freilassung ihrer Kinder zu schreiben: Es waren doch Einzelkinder, manche waren krank. Nach einigen Tagen kamen sie wieder und teilten mit, daß alle Bemühungen zwecklos gewesen wären, da sie bereits eine Benachrichtigung über den Tod ihrer Kleinen erhalten hätten. Nach fünf Tagen! Häufig lag eine Benachrichtigung über die Verbrennung der Leiche bei. Der Preis für die Herausgabe der Asche betrug 5 Mark“.
Hulewicz nahm eine „offizielle“ Arbeitsstelle in der Warschauer Stadtverwaltung an. Er wurde zu einem engen Mitarbeiter von Warschaus Stadtpräsidenten Starzyński. Zusammen mit ihm und dem Kunsthistoriker Stanisław Lorentz versuchten sie, die vom Besatzer zerstörten und geraubten Kunstwerke zu retten oder zumindest zu dokumentieren.
„Am 26.Oktober erreichte uns eine erschütternde Nachricht“, erinnerte sich Maciej Józef Kwiatkowski, Historiker des Polnischen Hörfunks: „Starzyński verhaftet. Einen Tag später wurde in der Stadt eine Proklamation des Generalgouverneurs Dr. Hans Frank plakatiert: «Bildung eines Generalgouvernements auf dem Gebiet des besetzten Polen«.
Im polnischsprachigen Presseorgan des Besatzers erschien eine Bekanntmachung über die sofortige Konfiszierung aller Radioapparate […]. Die Einstellung des polnischen Hörfunks und die Liquidierung der polnischen Presse […] riefen bei der Bevölkerung einen Hunger nach Informationen hervor. Man organisierte das Abhören der Alliiertensender […]. Auf diesen Service stützten die ersten Untergrundschriften ihre Berichterstattung“.
Kurz nach der Übernahme des Warschauer Senders, fragte der deutsche Sicherheitsdienst nach den Aufnahmen der Reden, die Stadtpräsident Starzyński während der Belagerung Warschaus gehalten hatte. Diesbezüglich wurde Ingenieur Jan Pilecki, der die Aufnahmen gemacht hatte, von der Gestapo befragt. Er wurde aufgefordert, die Platten herauszugeben.
Nach den Aufnahmen der deutschsprachigen Reden aus derselben Zeit fragte die Gestapo nicht. Sie interessierte sich auch nicht für deren Autor und Sprecher. Dabei lebte Witold Hulewicz unter derselben Identität wie im September 1939. Er führte ein „Doppelleben“.
Seine Tochter erinnerte sich: „Er hörte Nachrichten durch ein verstecktes Radio, schrieb Artikel, warb Schriftsteller und Publizisten für die Zeitung an, organisierte Papier, Farbe und Maschinen, verteilte die Arbeit, nahm stapelweise gedruckte Bulletins in Empfang, und teilte sie den Kolporteuren zu“.
Bei „Polska Żyje“ arbeitete auch die katholische Schriftstellerin Zofia Kossak-Szczucka, die im September 1939, zusammen mit Witold Hulewicz, von der polnisch-rumänischen Grenze zurückgekehrt war. Eine zeitlang beherbergte sie den Journalisten Aleksander Kamiński, der für die Untergrundzeitschrift „Biuletyn Informacyjny“ arbeitete. Kamiński erinnerte sich später: „Ich bekam für meinen Gebrauch ein kleines Zimmer. Dort habe ich meine Werkstatt eingerichtet: Eine Schreibmaschine und ein Versteck für die Papiere. Zwar verbrachte ich die meiste Zeit des Tages außerhalb, doch die Polizeisperrstunde zwang mich, vor 20 Uhr nach Hause zu kommen. Also blieb noch genug Zeit für Lektüre und die Gespräche mit den Mitbewohnern“.
„Kamiński vermutete, daß Zofia Kossak-Szczucka in der Untergrundarbeit steckte“, schrieb Lesław Bartelski. „Oft brachte sie Ausgaben von «Polska Żyje» mit nach Hause. Als Kamiński diese Zeitung las, hatte er das Gefühl, daß ein Teil der Artikel von Kossak-Szczucka geschrieben sein könnte. Ihm gefiel der übertriebene Optimismus der Zeitung nicht, auch nicht das Übergewicht der Kommentare gegenüber den Informationen. Aber er schätzte die Bemühungen der Redakteure und die Tatsache, daß viele Menschen auf die nächste Nummer von «Polska Żyje» warteten“.
KOP entwickelte sich zu der besten Propagandaorganisation im besetzten Polen. Ihre Mitglieder rekrutierten sich aus allen sozialen Schichten, unabhängig von ihrer politischen Orientierung. KOP erkannte die Obrigkeit der polnischen Exilregierung an: „Polen wird weiterhin auf dem Fundament der christlichen Kultur und der christlichen Handlungsprinzipien stehen. Polen wird ein demokratischer Staat sein“, verkündete KOP auf den Spalten von „Polska Żyje“ im Januar 1940.
Bereits Mitte 1940 verfügte KOP über Hinweise auf die Vorbereitungen zu einem deutsch-sowjetischen Krieg. Man hatte Informationen über die Errichtung von Flughäfen, Bahnverladerampen, Munitions- und Nahrungslagern. Man hatte erfahren können, daß die deutschen Truppen im Osten Polens mit großen Mengen Landkarten und deutsch-russischen Wörterbüchern beliefert worden waren.
Ab Juni 1940 betrieb die KOP eine Zersetzungspropaganda in deutscher Sprache. Flugblätter unter dem Titel Soldaten und Genossen! wurden von der Feldpost, unter den Wehrmachtsoldaten verteilt. Man versuchte, den Eindruck zu erwecken, daß die Flugblätter von Deutschen und im Deutschen Reich herausgegeben worden waren.
Man „fälschte“ auch, die im Deutschen Reich herausgegeben Zeitschriften: Die satirische Illustrierte „Erika“ beispielsweise, war für deutsche Soldaten gedacht. So bemühte man sich um eine identische graphische Gestaltung der „gefälschten“ Blätter, mit den von den Deutschen herausgegebenen Zeitschriften desselben Titels. Die „Fälschungen“ legte man den Sendungen mit den Originalexemplaren der Zeitschrift bei, und sorgte somit für eine zuverlässige Auslieferung an die Zielgruppe.
Unter den Begründern der deutschsprachigen Propaganda der KOP war auch Witold Hulewicz: „Hulewicz schrieb und redigierte Schriften und Flugblätter, die für die Deutschen bestimmt waren. Ihr Zweck war die Entblößung der Nazi-Propaganda in den Augen der Deutschen, sowie die Darstellung der mit dem Krieg verbundenen Fakten, aus der Sicht der Polen und ihrer westlichen Verbündeten. Die Gestapo suchte von Anfang an – fieberhaft – nach Autoren dieser Schriften“, erinnerte sich der Kunsthistoriker Stanisław Lorentz.
„Alle Bibliotheken und Lesesäle wurden geschlossen“, beschrieb Ludwik Hirszfeld die Anfänge der Besatzungszeit. „Nach einiger Zeit wurden sie wieder geöffnet, aber nur für Arier und nachdem die schönsten Werke der polnischen Literatur weggeschafft worden waren. Alle Universitäten wurden geschlossen. Der Bestand der Posener Universitätsbibliothek wurde teils weggebracht, teils verbrannt. Polnische Buchläden wurden requiriert und die Bücher vernichtet. Nach einiger Zeit wurde das Verbot erlassen, in den Lagern polnischer Buchläden weltanschauliche Bücher aufzubewahren. Der Besatzer verstand, daß diese Literaturgattung die Seele des Volkes formt“.
KOP wollte die Jugendlichen zur Selbstbildung motivieren. Die Bildung sollte einer Demoralisierung entgegenwirken, den Patriotismus wecken und den Glauben daran, daß der Besatzer besiegt werden könnte. Deshalb gab die KOP ab Oktober 1940 eine Zeitschrift für die Jugendlichen heraus. „Orlęta“ [„Adlerjungen“] wurde von der Schriftstellerin Zofia Kossak-Szczucka, Deckname „Tante“, redigiert. In der dritten Nummer der „Orlęta“, am 30. Oktober 1940, erschien ein Gedicht, das eine Art Anweisung für den Fall der Verhaftung sein sollte. Das Gedicht trug den Titel: Ich sag es nicht!
Am 3. August 1940 erschien in „Polska żyje“ ein Text unter dem Titel Kampf um die polnische Kultur. Hinter dem anonymen Autor vermutete man Witold Hulewicz: „Der Kampf gegen die polnische Kultur wird auf drei Ebenen geführt: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Man hat in dieses Spiel die Vergangenheit einbezogen, um mittels der eindringlichen deutschen Propaganda, die auf unserem Gebiet über das Privileg der Ausschließlichkeit verfügt, zwei Sachen zu suggerieren: daß alles, was in Polen auf dem kulturellen Sektor wertvoll ist, Werk des deutschen Geistes sei, und daß die Polen auf dem kulturellen Gebiet nichts bedeuteten […]. Darüber leuchtet ein konkretes politisches Ziel, nämlich der Versuch, der deutschen Expansionspolitik eine Ideologie zu verschaffen. Polen für eine uralte Sphäre des deutschen kulturellen Einflusses zu halten, ist die Begründung der sogenannten Theorie des Lebensraumes. Laut Hitler umfaßt der Lebensraum alle Gebiete, die jemals der Wirkung deutscher Kultur unterlagen. Der Beweis der Nichtigkeit der Polen soll die Eroberung rechtfertigen, denn eine solche Nation kann keinen Anspruch auf politische Souveränität erheben […].
Der Kampf auf der Ebene der Zukunft hat ebenfalls ein politisches Ziel. Dieses Ziel ist es, polnische Akademiker zu vernichten, weil sie von den Deutschen für das größte Hindernis bei der Unterwerfung der polnischen Nation gehalten werden […].
Das sind undurchführbare Aufgaben. Eine lebendige Nation läßt sich in keiner Weise ihrer Kultur berauben. Wie auch immer die Lebensbedingungen in Polen sein werden, wird die polnische Kultur sich entfalten und in die polnische Gesellschaft einsickern“.
Wie zur Bestätigung dieser Worte, wurde am 18. August 1940 die Verordnung darüber erlassen, daß die Ausübenden freier Berufe sich in der Propaganda-Abteilung registrieren sollten. Gemeint waren: Musiker, Komponisten, Maler, Schauspieler, Sänger, Literaten und Journalisten. Diejenigen von ihnen, die sich bis zum 30. September 1940 nicht registrieren würden – so die Verordnung – dürften ab dem 1. Dezember 1940 ihren Beruf nicht mehr ausüben.
Der Sommer 1940 war für Witold sehr arbeitsintensiv.
„Täglich kamen viele Jugendliche und ältere Kolporteure in die Wohnung von «Grzegorz» (Pseudonym meines Vaters): Sie wollten Zeitungen abholen. Auch ich kam und holte zwei große Pakete ab, die ich in meinen Einkaufstaschen unter dem Gemüse versteckte. Auch die «Tante» kam und «Bogumił» und «der Lange» […].
Als ob das noch nicht genug wäre, organisierte Stenia im Nebenzimmer einen Erste-Hilfe-Kurs für junge Mädchen. Stenia war ganz in ihrem Element: aufgeregt, geschwätzig und viel zuviel davon erzählend, was sie und ihr «Wiwi» tagtäglich bewirkten…
Leider gab es in dieser Tätigkeit auch ein Element des unnötigen Draufgängertums. Lorentz erzählte mir, daß er meinen Vater und Stenia getroffen hatte, als sie am Tag einer Nationalfeier Blumen zum Grab des Unbekannten Soldaten trugen“, schrieb Agnieszka Hulewicz-Feillowa.
In der Nacht vom 31. August auf den 1.September 1940 war Witold gerade dabei, einen Artikel für „Polska żyje“ zu tippen. Stenia schlief schon. Da hörte man auf der Treppe das Getrampel schwerer Schuhe. Jemand klopfte an die Tür. Witold riß die angefangene Seite heraus, und versteckte sie unter der Schreibmaschine. Hastig spannte er ein Briefpapier mit Hakenkreuz ein. Dann öffnete er die Tür: Die Gestapo.
Die Durchsuchung verlief ruhig, dauerte eine Stunde und ergab nichts. Unter der Schreibmaschine hatte die Gestapo nicht nachgesehen. Es war Samstag. Hulewicz bekam die Anweisung, sich am Montag in der Sicherheitszentrale zu melden, „zwecks Erledigung von Formalitäten“.
„Am 1. September kam mein Vater in die Gospoda“, schrieb Witolds Tochter, die dort kellnerte. „Mich überraschte sein ernster Gesichtsausdruck. Was ist? «Die Gestapo war heute nacht bei uns. Sie haben nichts gefunden, aber morgen muß ich kurz dorthin, um Formalitäten zu erledigen».
Ich flehte ihn an, dort nicht hinzugehen. Er sollte sich verstecken! ›Wenn ich mich verstecke, weiß die Gestapo sofort, daß ich etwas auf dem Gewissen habe», sagte mein Vater. Er hätte doch Familie, sagte er, Mutter, Tochter, die Schwestern, die ganzen Jugendlichen. Sie alle hätten sich verstecken sollen? Wo? Wie hätten sie dann leben sollen? Wenn die Gestapo tatsächlich etwas gegen ihn gehabt hätte, so hätte man ihn bereits gestern nacht mitgenommen. Er würde dorthin gehen und danach hierhin, in die Gospoda Kujawska kommen und… «wir essen dann etwas leckeres, in Ordnung?», fügte er munter hinzu […].
Am nächsten Tag rief Stenia bei mir auf der Arbeit an: Sie hatte Witold bis zur Aleja Szucha begleitet, wo die Gestapo-Zentrale war. Nun wartete sie auf ihn in einem nahen Café. Wenn er zurückkäme, würden sie sich sofort bei mir melden. Es war 9 Uhr.
Um 14.00 Uhr wurde ich wieder zum Telefon gerufen: Stenia weinte. Witold kam nicht zurück“.
Im September 1940 wurden außer Witold auch andere wichtige Mitglieder der Warschauer KOP verhaftet: Stefan Helmuth, der bei der Gestapo gearbeitet hatte, die Meldegängerin Karolina Olszyńska, der Chef der Sicherheitsabteilung Wincenty Daremniak und der Hauptanführer der Kampfgruppen Marian Bończa-Cyrklewicz.
Am 14. September 1940 kam es in einem Kontaktpunkt der KOP zu einem Gefecht mit Gestapo-Männern. Dabei wurde eines der KOP-Mitglieder verhaftet, einer der Deutschen getötet und ein weiterer verletzt. Als Vergeltung für die Tötung des SS-Unterscharführers, sowie die Verletzung des Gestapo-Dolmetschers, wurden wahllos 200 Häftlinge aus dem Gestapo-Gefängnis Pawiak erschossen, darunter 20 Frauen.
„Witold Hulewicz ahnte seine Verhaftung“, schrieb Mirosława Pałaszewska in ihrem Buch Zofia Kossak. „Kurz zuvor hatte er seine Vertreter ernannt: Witold Bieńkowski und Zofia Kossak-Szczucka. Also setzten sie die Herausgabe von «Polska żyje» fort“.
„Witold Hulewicz war allein durch seine Vergangenheit verurteilt. Es reichte, daß in seiner Gestapo-Akte erwähnt wäre, daß er an dem antideutschen Aufstand von 1918 teilgenommen hatte. Das allein glich einem Todesurteil. Aber Hulewicz war zur Gestapo gegangen, um seine Nächsten nicht zu gefährden. Er war guter Dinge. Er war immer ein Optimist“, erinnerte sich Lesław Bartelski.
„Ich fuhr zu einer befreundeten Familie, zu deren Gut auf dem Land“, schrieb Agnieszka Hulewicz-Feillowa. „Zwei Tage nach der Verhaftung meines Vaters, holte die Gestapo auch Stenia zu Hause ab. Sie kamen auch zu Helena in das kirchliche Altenheim in der Dobra-Straße. Helena spielte vor den Gestapo-Männern eine tatterige Greisin. Sie ließen sie in Ruhe.
Ich wohnte einige Wochen lang in dem Gut auf dem Lande, aber man konnte nicht unendlich die Gastfreundschaft der befreundeten Familie in Anspruch nehmen, vor allem, weil immer mehr «Gefährdete» dorthin kamen. Ich fuhr zurück nach Warschau, meldete mich unter einer neuen Adresse an, und fand eine neue Arbeitsstelle: In dem wunderschönen Café Arkadia in der Moniuszko-Straße.
Den Vertrieb der Untergrundpresse konnte ich vergessen: Ich war «verbrannt». «Polska żyje» erschien aber weiterhin. Mein Vater koordinierte die Arbeit vom Gefängnis aus, er schrieb sogar Artikel. In dieser Zeit gab es noch polnische Gefängnisaufseher. Sie haben die Artikel herausgeschmuggelt.
Ungefähr zwei Mal im Monat bekamen die Großmutter Helena und ich Postkarten aus dem Pawiak-Gefängnis. Mein Vater mußte sie auf deutsch schreiben. Dank seinen hervorragenden Deutschkenntnissen, schrieb er ausführlich, mit einer deutlichen, klitzekleinen Schrift, weswegen die Nachrichten auch genau waren. Seine tatsächlichen Sorgen versteckte er. Er schrieb im optimistischen Ton, um uns Mut zu machen. Vom Gefängnis aus sorgte er sich um mich, betreute meine Entscheidungen, achtete darauf, daß ich viel zeichne und entsprechende Literatur lese. Er bat um detaillierte Briefe. Er lobte meine Entscheidung für eine neue Arbeitsstelle: Café Arkadia gehörte einem Freund meines Vaters […].
Im Café Arkadia arbeitete ich ab dem 1. Dezember. Am 5. Dezember wurde der Laden von Polizisten umstellt. Gestapo-Männer drangen in das Ladeninnere ein. Einige waren uniformiert, einige in Zivil. Wie immer stürzten sie mit Geschrei und mit bellenden Schäferhunden herein. Sie verteilten sich blitzartig in den beiden Sälen des Cafés und den Hinterzimmern des Ladens.
[…] Das Personal wurde in zwei Gruppen aufgeteilt: Die Erste Gruppe bestand aus Personen, die erst seit dem 1.Dezember dort arbeiteten, sowie aus «sauberen» Personen, also solchen, bei denen man nichts belastendes gefunden hatte. In der zweiten Gruppe war das ältere Personal sowie alle Verdächtigen […].
Ich wurde der ersten Gruppe zugeteilt, aber geleitet von der Sehnsucht nach meinem Vater, schob ich mich unauffällig zu der anderen Gruppe. So eine Idee konnte nur im Kopf einer unerfahrenen, jungen Person entstehen, die ich damals war.
Bis wir in dem Gestapo-Gefägnis Pawiak angekommen waren, kam ich zu dem Schluß, daß es wohl besser wäre, mit dem Fall meines Vaters nicht in Verbindung gebracht zu werden. Mit Mühe fand ich in meiner Handtasche das Foto meines Papas und schluckte es herunter. Ich beschloß, zu verheimlichen, daß ich seine Tochter war.
Im Pawiak wurden meine Personalien aufgenommen, dabei wurde mein Name mit «Ch» (Chulewicz) notiert. Ich habe diesen Fehler nicht berichtigt, und anfangs wußte man überhaupt nicht, daß ich denselben Namen wie mein Vater trug“.
Dieser vorteilhafte Fehler nützte nichts, da Stenia Hulewicz, von den polnischen Aufseherinnen über die Einlieferung ihrer Stieftochter unterrichtet, dafür gesorgt hatte, daß Agnieszka in „ihre“ Zelle versetzt wurde. Von da ab brachte man Agnieszka mit dem Rest der Familie in Verbindung.
„Ich stand Auge in Auge mit meinen neuen «Mitbewohnerinnen»“, schrieb Agnieszka. »Sie begrüßten mich keineswegs freudig. Ich, «die Neue», würde ein Stück des engen Raumes, der für zwölf Frauen bestimmt, aber von sechsundzwanzig bewohnt wurde, besetzen. Ich würde meinen Kleinkram in das sowieso überladene Regal legen. Abends würde ich mich in einer der vier Schüsseln waschen wollen. Und wo ich mich dann hätte hinlegen sollen, wußte man überhaupt nicht. Die Pritschen waren belegt, auch die Tische, auch die Hocker zwischen den Pritschen und sogar der Boden.
Tagsüber spürte man die Enge nicht, weil ein Teil der Gefangenen in der Kartoflarnia mit dem Kartoffelschälen beschäftigt war, ein Teil in der Reinigung, ein Teil in der Nähwerkstatt und nur ein Teil in der Zelle blieb, etwas strickte oder las […].
«Du wirst ein bißchen absitzen, ein Paket von Zuhause kriegen, ein kleines Kissen für den Kopf, Stricknadeln und Wolle, und auch du wirst eine Beschäftigung haben», trösteten mich meine Zellengenossinnen.
Ich aber hoffte, daß meine Verhaftung «aus Versehen» sich schnell klären, und ich rasch in die Freiheit entlassen werden würde. Wie naiv!
Zunächst aber träumte ich davon, meinen Papa zu sehen.
Gleich in den ersten Tagen schickte ich ihm über den Koch aus der «Männerabteilung», der die Kessel mit Essen austrug, einen Kassiber“.
Für Witold Hulewicz waren die ersten vier Monate im Gefängnis erträglich. Die Gestapo besaß keine Beweise für seine Untergrundtätigkeit. Er selbst bekannte sich zu nichts.
„Über eine längere Zeit hinweg arbeitete Hulewicz in der Gefängnisbibliothek […]. Dort entstanden seine Gedichte […] und die Kassiber, die er an seine Frau schrieb, und die der Mechaniker Żywna, der in der Nähstube die Maschinen wartete, in die Frauenabteilung mitnahm“. So berichtete Leon Wanat, ebenfalls Häftling in Pawiak, Mitglied der KOP und Schreiber in der Gefängniskanzlei.
Mit Hilfe von Kassibern unterrichtete Hulewicz seine Tochter, wie sie auszusagen hatte: Sie sollte sagen, daß sie nach der Scheidung ihrer Eltern bei der Mutter wohnte und den Vater nur gelegentlich sah: Es ging darum, möglichst wenige Menschen mit seinem Fall in Verbindung zu bringen.
„Endlich ergab sich die Gelegenheit für unser Treffen“, beschrieb die Tochter von Hulewicz ihre ersten Wochen im Pawiak-Gefängnis. „Ich war in der Gruppe von Frauen, die Kartoffeln schälten, als mein Vater den Raum betrat, «um die Frauen zu ermahnen, da sie nicht ordentlich schälten». Der deutsche Wächter ging vor dem Wirtschaftshaus auf und ab, und mein Vater «schimpfte», während er uns dabei zuzwinkerte, um zu zeigen, daß er scherzte.
Ich sprang auf und schmiegte mich für einen Augenblick an ihn. Ich spürte den vertrauten Geruch und seine rauhe Wange. Dieser eine Augenblick war es wert, nach Pawiak zu kommen.
Ein anderes Mal wurde mir und Stenia mitgeteilt, daß wir zur Augenärztin ins Krankenhaus gehen sollten. In solchen Fällen durfte man nichts fragen. Wir stellten uns in die Reihe der Wartenden. Auf der anderen Seite des Flurs standen die männlichen Patienten, unter ihnen mein Vater“.


Der Januar 1941 schien entscheidend für die Ermittlungen gegen die KOP zu sein: Zu dieser Zeit hatte die Gestapo eine wichtige Druckerei und Setzerei in Warschau liquidiert. Dabei kamen die beiden Setzer ums Leben. Desweiteren wurde eine Vervielfältigungswerkstatt entdeckt und aufgelöst. Die dort anwesenden Personen wurden verhaftet, 2 000 Exemplare von „Polska Żyje“ wurden beschlagnahmt.
Bartelski erinnerte sich, daß die Schriftstellerin Zofia Kossak-Szczucka „bis zu dem «Reinfall» im Januar 1941 Redakteurin von «Polska Żyje» war“. Danach erschien auch die, von ihr redigierte, Zeitschrift „Orlęta“ nicht mehr.
„Dauernd fragen sie mich nach Tante Zosia. Sie schlagen schrecklich. Ich habe ihnen nichts gesagt. […] hatte mich verraten, vielleicht hat er es nicht ausgehalten“, schrieb Hulewicz in einem Kassiber.
„Tante Zosia“ (Zofia Kossak-Szczucka) war die Verfasserin des Dekalog eines Polen (Dekalog Polaka). Dieser befand sich in dem, von der KOP herausgegebenen Taschenkalender, den die Gestapo für besonders schädlich hielt. In dem Dekalog hieß es: „Ich bin Polen, Deine Heimat, die Erde Deiner Väter, die Dich genährt hat. Alles, was Du bist, hast Du – nach Gott – mir zu verdanken.
- Nichts auf Erden sollst Du mehr lieben als mich.
- Du sollst meinen Namen nicht für Deine Ehre, Deine Karriere und Deine Belohnung mißbrauchen.
- Gedenke – ohne zu zögern – Dein Vermögen, Dein Glück und Dein Leben Polen zu geben.
- Du sollst Deine Heimat Polen, wie Deine Mutter ehren.
- Mit Polens Feinden sollst Du kämpfen bis zu Deinem letzten Atemzug, bis zum letzten Tropfen Blut in Deinen Adern.
- Kämpfe gegen Deine Feigheit und Bequemlichkeit. Vergiß nicht: Ein Feigling kann nicht ein Pole sein.
- Sei ohne Gnade für die Verräter Polens.
- Immer und überall sage kühn, daß Du ein Pole bist.
- Laß nicht zu, daß man an Polen zweifelt.
- Erlaube nicht, daß man Polen beleidigt, indem man seine Größe, seinen Verdienst, seinen Ertrag und seine Majestät schmälert“.
Die Schriftstellerin Kossak-Szczucka wurde in der Gestapo-Akte, gleich neben Witold Hulewicz genannt, unter den „geistigen Mitarbeitern und Artikelverfassern der Flugblätter der [K]OP“. Nur, daß neben ihrem Namen der Vermerk „ist flüchtig“ stand.
„Die Situation meines Vaters wurde immer schlimmer“, schrieb Agnieszka Hulewicz-Feillowa. „Neue Denunziationen in der Stadt, Verhaftungen von Menschen, die mit ihm in Verbindung standen, regelmäßige Verhöre in der Aleja-Szucha, verbunden mit Foltern. Während der Gegenüberstellungen gestand er nichts. Er erkannte niemanden wieder, er wußte von nichts. Und doch gab es so einen «Freund»…“.
„Im Laufe der weiteren Verhaftungen […] wurden Hulewicz enge Verbindungen zu der Propaganda in deutscher Sprache enthüllt“, schrieb Stanisław Lorentz.
„Witold Hulewicz wurde mehrmals in der Aleja-Szucha verhört, von wo er schwer geschlagen nach Pawiak zurückgebracht wurde“, schrieb Leon Wanat.
„Anfang 1941 kamen die schwierigsten Augenblicke“, schrieb die Tochter von Hulewicz, „Stenia und ich erfuhren, daß man ihn in der Dunkelzelle hielt, in einem so niedrigen Raum, daß man sich dort nicht aufrichten konnte, ohne Fenster und ohne Pritsche, mit Wasser auf dem Fußboden. Wir erfuhren, daß man ihn zu Verhören in die Aleja-Szucha brachte, und er von dort auf einer Krankentrage zurückgebracht wurde […]. Daß man ihn im Gefängnishospital heilte und erneut zu den Verhören brachte […].
Gegen das Ende meiner Haft im Pawiak, hatte ich ihn noch einmal gesehen. Er war sehr dünn und hatte ganz graue Haare“.
Am 28. März 1941 wurde die Tochter von Witold Hulewicz aus dem Pawiak-Gefängnis entlassen. Vorher hatte ihre leibliche Mutter Anna, Kontakt zu einem Gestapo-Dolmetscher Namens Matz aufgenommen, ihm ihren goldenen Ehering gegeben und um die Unterstützung bei der Freilassung der Tochter gebeten.

Über die ersten Tage nach ihrer Freilassung schrieb Agnieszka Hulewicz-Feillowa in ihrem Buch: „Ich habe einen polnischen Pawiak-Aufseher kontaktiert; er holte bei mir Kassiber und Essenspäckchen für meinen Papa ab. Umgekehrt brachte er mir Papas Nachrichten. Ich bewirtete ihn immer mit einem Mittag- oder Abendessen, und einem Glas Alkohol, da ich wieder in dem Wirtshaus Gospoda Kujawska kellnerte, und wir uns dort trafen.
Und per Post kamen weiterhin, an die Adresse von der Großmutter Helena Briefe, die mein Papa auf deutsch schrieb:
„14.05.1941 Meine geliebteste Mutter! […] Die Sonne strahlt schon etwas wärmer und die Spaziergänge sind angenehmer. Aber die Flieder, Konvalien und die Glockenblumen (wie in einem Gratulationsgedicht) haben sich dieses Jahr zu Deinem Namenstag verspätet… Schick mir bei Gelegenheit ein Sträußlein Veilchen […]. Du hast mir noch nicht geantwortet, ob mein Chopin-Manuskript bei Włodek ist, oder in der Wohnung […]. Vielleicht könnte mir Miś einen Rat geben: Vor drei Wochen verbrannte ich mir die Zunge und den Gaumen mit einer heißen Suppe, seitdem habe ich an dieser Stelle ganz kleine Verletzungen, die weh tun. Sie wollen nicht abheilen, obwohl ich den Mund mit Borsäure und Kalipermanganicum spülte. Überhaupt heilen hier die kleinsten Wunden, Insektenstiche u.s.w. ganz schwer“.
Witolds Karte vom 30. Mai 1941 war kurz: „Bei mir ist alles gut. Ich habe nichts Neues zu berichten“. Zum Schluß gab es, wie immer, Grüße an die Familie und Freunde.
Agnieszka Hulewicz-Feillowa erzählte: „Schließlich sagte die Gestapo meinem Vater, daß er ganz genau weiß, worum es ihnen geht, und entweder wird er anfangen zu reden, oder sie werden ihn erschießen“.
„Am 12. Juni besuchte mich wieder mein befreundeter Aufseher aus dem Pawiak-Gefängnis“, schrieb Agnieszka Hulewicz-Feillowa in ihrem Buch. „Er war anders als sonst – ernst, er wollte nichts essen. Wir sprachen kurz:
«Alles, was Sie mir gegeben hatten, habe ich hingebracht. Ihr Vater dankte sehr» (In einem kleinen Päckchen schickte ich ein Fläschchen Lavendelwasser, einen Strauß Veilchen, Namenstagswünsche zum 2. Juni und ein Marienmedaillon).
«In meinem Portemonnaie habe ich ihm auch Hostien von der Aller-Heiligen-Kirchem gebracht. Ein Mitgefangener, Pater Maksymilian Kolbe, nimmt in der Pawiak-Bibliothek die Beichte ab, und erteilt die Kommunion. Auch ihr Papa ist bei ihm gewesen».
«Schön. Danke für diese Nachricht. Könnten Sie wieder eine Kleinigkeit für meinen Vater mitnehmen?».
«Nein. Ich nehme nichts mehr mit. Er ist nicht mehr in Pawiak… sie wurden weggebracht…».
«Mit einem Transport?! Wohin?!».
«Ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts. Entschuldigung, ich muß jetzt gehen».
Ich habe diesen Gefängnisaufseher nie wieder gesehen“.
Einige Tage später kam mit der Post die letzte Nachricht von Witold Hulewicz.


© Agnieszka Karaś
Der Pole, der auch Deutscher war.
Das geteilte Leben des Witold Hulewicz
Bonn – Warszawa, 2004
